Am Freitag Abend um 22:00 Uhr steigen wir in Sarajevo in den Nachtbus nach Pristina, in die Hauptstadt der noch jungen Republik Kosovo. Die Fahrt soll rund zwölf Stunden dauern und wir freuen uns gar nicht darauf; Erinnerungen an den letzten Sommer in den Anden werden wach – und wir einfach nicht müde… Nach etwa zwei Stunden erreichen wir die bosnisch-serbische Grenze, und an beiden Grenzposten steht der Bus etwa eine halbe Stunde: der Chauffeur muss die Pässe aller Fahrgäste einem Polizisten aushändigen, der damit im Wachhäuschen verschwindet und dann im fünf-Minuten-Takt irgendwelche Leute zu sich rufen lässt. Wir sind unsicher, bis uns ein anderer Fahrgast aufklärt: es geht ziemlich sicher um Schmiergelder, die von Bürgern der jeweils gerade unbeliebten Nationen einkassiert werden – wir seien mit den Schweizer Pässen nicht gefährdet.

Ein Hochzeits-Konvoi kommt uns entgegen!

Wir freuen uns, dass es nach den langen Wartezeiten endlich weitergeht, doch schon nach wenigen Kilometern ein neuer Stop: Pauza! Yvonne wird von einer jungen blonden Mitpassagierin in Züri-Dütsch angesprochen – sie war mit der Familie in die Schweiz geflüchtet, hatte in Winterthur die Schule besucht und lebt jetzt wieder in Sarajevo und fährt zur Tante in den Kosovo und erzählt, dass sie keine Ausbildung hat und nun einen Mann sucht.
Phil versucht unterdessen zwei Albanern zu erklären, wieso wir denn in dieser Region unterwegs sind und als der Bus wieder weiterfährt, erklärt uns ein serbischer Kampfsportler mit Zwiebel-Fahne die Psyche seines Volkes, bis er irgendwann schlagartig einschläft.
Wir finden beide im stickigen, heissen, lauten und engen Bus keinen festen Schlaf, erwachen andauernd wieder. Gegen sechs Uhr morgens sind wir dann in Novi Pazar, nahe der serbisch-kosovarischen Grenze. Da Serbien die Autonomie Kosovos nicht akzeptiert, ist diese Grenze nicht offiziell und deshalb ist hier auch die Buslinie eigentlich zu Ende. Während wir mit einem französischen Päärchen, welches ebenfalls auf “Tour de Balkan” ist, am Kiosk einen Kaffee trinken, wird der Bus jedoch bis zum letzten Platz mit neuen und zusätzlichen Fahrgästen gefüllt, welche in den Kosovo wollen – vorzugsweise schrullige alte Frauen mit Kopftüchern und ledriger Haut. Mit diesem völlig überfüllten Gefährt kommen wir dann problemlos und schnell über die Grenze, welche auf serbischer Seite nur ein Militär-Checkpoint ist, auf kosovarischer Seite aber von UN-Soldaten (KFOR) und Kosovo-Police überwacht wird.

Eigenwerbung der KFOR

In den ersten Stunden in Pristina scheinen sich sämtliche Klischees, die wir von zu Hause mitgebracht haben, zu bestätigen: die Männer am heruntergekommenen Busbahnhof sehen genau so aus wie Mike Müller als “Mergim Muzzafer”, der Taxifahrer knöpft uns das doppelte vom üblichen Preis ab, in der Stadt vor allem deutsche Wagen (Mercedes, BMW, Audi, Opel, Golf…), darunter etliche mit deutschen und schweizer Kennzeichen: man ist auf Heimaturlaub. Wir hatten gelesen, Pristina sehe aus wie “auseinandergerissen und unter Meinungsverschiedenheiten wieder zusammengesetzt”. Tatsächlich scheint ein grosses Durcheinander zu herrschen, gleichzeitig aber auch Aufbruchstimmung: überall wird gebaut, viele Häuser sind neu oder renoviert.

Boxkampf!

Wir finden die grosse Fussgänger-Promenade, welche am Nachmittag noch ruhig und unscheinbar wirkt, am Abend aber aufblüht und voller fröhlicher, flanierender Menschen ist. Überhaupt machen die Leute auf uns einen sehr ruhigen und friedlichen Eindruck.

Teenager in Pristina

In den Restaurants werden wir sehr freundlich empfangen, der Kellner beantwortet z.B. geduldig unsere Frage nach dem Kosovarischen Pass und bestätigt unsere Vermutung, dass er nur in die Staaten reisen kann, welche den Kosovo anerkannt haben. Die Taxifahrer in der City sind ehrlich (!) und eigentlich jeder spricht mindestens eine Fremdsprache.

Gebäude der OSZE in Pristina

Einen grossen Teil des Sonntags verbringen wir in einer Pizzeria, schreiben am Blog und planen unsere Weiterreise. Dabei fahren andauernd hupende Autokolonnen vorbei, aus den dekorierten Autos werden Albanien- und Kosovo-Fahnen geschwenkt. Offenbar ist Heirats-Hochsaison; vielleicht hat dies eben auch mit der Heimkehr-Saison der Auswanderer zu tun? Nebst Hochzeits-Konvois sieht man im Kosovo vorallem EU- und UN- sowie viele Militär- und Polizei-Fahrzeuge aus aller Welt – innert wenigen Minuten sehen wir Carabinieri, Gendarmerie sowie schwedisches und finnisches Militär. Und a propos Fahrzeuge: dass an vielen Last- und Lieferwagen noch deutschsprachige Werbeaufschriften zu sehen sind, überrascht wohl niemanden, aber an etlichen Bussen guckt vorne oder an der Seite die vertraute gelbe Lackierung mit dem roten Streifen hervor: ausrangierte Postautos!

Unser Zimmer in Pristina - zum Glück richen Fotos nicht...

Carabinieri

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