Mostar und Medjugorje

Vom Hafen in Split fahren wir mit dem Bus zuerst noch einige Kilometer entlang der Dalmatinischen Küste Richtung Süden, vorbei an Badestränden, Hotels, Campingplätzen und unzähligen “Zimmer”-Schildern. Kurz vor Makarska führt die Route dann ins Landesinnere und damit in die kargen Berge der “Dalmatinischen Alpen”. Nach einigen hundert Kurven passieren wir problemlos die Bosnische Grenzkontrolle und schon bald darauf wird die Gegend immer fruchtbarer – wir sind in der Herzegowina. Links und rechts der Strasse folgt ein Bauernhof auf den anderen – sehr häufig neben einem ziemlich neuen Wohnhaus eine zerstörte und überwucherte Ruine – und die Felder dazwischen sind bepflanzt mit Kürbissen, Weinreben und Tabak. Auch in Mostar, wo wir gegen Abend eintreffen, sind Ruinen allgegenwärtig. An vielen Gebäuden wird noch gebaut, repariert und renoviert; andere, besonders entlang der ehemaligen Frontlinie, stehen wie Skelette in der Stadt und aus den Fensterlöchern wächst Gebüsch.

Ruine an der ehemaligen Frontlinie in Mostar

Die Stadt ist bekannt für die über 20 Meter hohe Brücke über die Neretva, welche 1566 von den Ottomanen (Türken) gebaut wurde. Sie überlebte etliche Konflikte und zwei Weltkriege, wurde dann aber (nach 427 Jahren) 1993 von der Kroatischen Artillerie zerstört. Heute ist sie aber – mit Unterstützung der UNESCO und der Weltbank und so weit möglich aus den Original-Steinen – wieder restauriert und ein wahres Juwel! Als zusätzliche Attraktion springen täglich mutige Burschen die zwanzig Meter in die Tiefe – aber nicht ohne vorher beim Publikum genügend Münzen eingesammelt zu haben. Noch reisen nur wenige und vorallem regionale Touristen nach Mostar, doch schon in wenigen Jahren wird dieses Monument sicherlich ganze Bus-Ladungen von Touris aus aller Welt anziehen…

Die alte Brücke in Mostar

Nahe von Mostar liegt der Wallfahrtsort Medjugorje, welcher auch im Entlebuch bekannt ist. Da wir den Namen schon einige Male gehört haben und nun so nahe sind, entscheiden wir uns am Donnerstag, dort hin zu fahren. Dieser Ausflug erweist sich dann allerdings als Enttäuschung – das winzige Dorf besteht eigentlich nur aus Souvenirläden, die Hitze ist unerträglich und schliesslich taucht auch der angekündigte Bus zurück in die Stadt nicht auf…

Marien-Statuen in Medjugorje

Nach einer rasanten Taxifahrt kühlen wir uns dann im Schatten der (neuen) alten Brücke mit Bier und Salat ab und freuen uns dabei auf die bevorstehende Zugfahrt durchs Neretva-Tal – leider vergebens, denn wir erfahren von unserer Zimmer-Vermieterin, dass der Morgenzug nicht aus Sarajevo zurück gekehrt sei; es wird gestreikt und somit steht für uns wieder eine Reise im Car auf dem Programm.

Sarajevo – Stadt der Gegensaetze

Haben wir uns verspekuliert? Auf jeden Fall will uns entgegen unserer Erwartung kein einziger Zimmervermieter bei sich unterbringen, als wir spaet abends im Busbahnhof eintreffen.
Wir halten bereits nach einem Taxi Ausschau und stellen uns auf Hotelsuche ein, da werden wir doch von einem Maedchen angesprochen. Selbstbewusst und geschaeftstuechtig managt Jenny alles: den Preis (10 Euro), unseren Transport im Auto des Bruders, die Info des Vaters zu Hause… Fuer unser Empfinden kreuz und quer chauffiert er uns durch Sarajevo und schliesslich werden wir bei unserer Ankunft herzlich vom Hausherrn Mik begruesst. Schuhe aus und rein ins grosse und schon recht alte Haus, die steile Holztreppe hoch, Zimmer anschauen. Die Moebel sind an die Waende geschoben, eine Gebetsschnur haengt am Fenstergriff, der Koran liegt auf einem Tischchen.
Spaeter sitzen wir in der guten Stube zusammen und erhalten neben einem erfrischenden Orangenjus auch die ersten Tipps, geben Auskunft ueber die bisherige Reiseroute und ernten verwunderte Blicke, als wir unser naechstes Ziel, Kosovo, bekannt geben.
Der Hausherr ist sehr interessiert. Bedaechtig erzaehlt er auf Englisch, fehlt ein Wort, fragt er seinen Sohn. Natuerlich kommen wir auch auf den Krieg zu sprechen und erfahren, dass auch er im Einsatz war. Ueber die anderen Nationen aeussert er sich zurueckhaltend. Selber wurde er zweimal angeschossen und ist nun in Pension, abeitet jedoch an verschiedenen Umweltschutz-Projekten mit. Mit dem Vermieten der Zimmer verdient sich die Familie wohl etwas dazu, um die Studien der allem Anschein nach sehr intelligenten Kinder zu finanzieren.
Auf dem Weg auf Futtersuche kommen wir an einem riesengrossen muslimischen Friedhof vorbei, hunderte von weissen Grabsteinen.

Muslimischer Friedhof in Sarajewo

Beim bosnischen Kaffee (wie tuerkischer Kaffee) am naechsten Morgen nimmt sich Mik wieder Zeit fuer uns und erklaert uns u.a. haargenau, wie wir zum Tourist-Office gelangen. Und wenn ich haargenau schreibe, dann bedeutet das, mit allen Details und mehrmals. Wirklich ein sehr netter und fuersorglicher Gastgeber.

Wir buchen die Tunneltour. Sarajevo ist die am laengsten belagerte Stadt der Geschichte. Um Menschen und Gueter in die Stadt und hinaus zu schaffen, baute man einen 800 m langen Tunnel.

Im Tunnel...

Mit dem Bus werden wir zum Eingang gefuhert. Dort angekommen zeigt uns unser Guide, welcher zur Zeit des Krieges 10-jaehrig war, auf der Karte der olympischen Winterspiele 1984, wo nur einige Jahre später die Belagerungsgrenzen der Serben durchgingen. Wir sehen einen Film. Wir erfahren, dass die Kinder waehrend des ganzen Krieges unterrichtet wurden, die Lehrpersonen gingen zu ihnen in die Bunker. Beim Versuch, etwas Freiheit zu geniessen, wurde der Guide von einer Bombe am Bein verletzt. Wir hoeren von der Not und der zweifalhaften Rolle der UN-Truppen, dem schlechten Essen, dass 1 l Milch 12 Euro gekostet hat. Grausam, was die Leute durchmachen mussten. Die Serben haben ein Spital bombardiert, wobei 14 Babies starben. Oder es gab die Sniper-Alley, wo die erste Person von den serbischen Scharfschuetzen gezielt nur verletzt wurde, um nachher die zu Hilfe kommenden Leute zu erschiessen. Im Gesamten kamen waehrend des Krieges in allein Sarajewo 11000 Menschen um, 1601 davon Kinder. Dass hier noch viel Hass auf die Serben ist, kann ich gut verstehen.

Liste der Opfer in Sarajewo
Zwar erinnere ich mich an die Berichterstattungen in der Tagesschau aus Sarajevo zur Zeit des Krieges. Aber nun selber in dieser Stadt zu sein und die Erzaehlungen aus dem Mund von einem jungen Mann zu hoeren, ist etwas anderes. Wir sind beeindruckt vom grossen Widerstandswillen der Menschen in Sarajevo.
Diese Seite von Sarajevo ist unglaublich traurig. Und es ist nicht 60 Jahre her, sondern 15.

Sarajevo bleibt uns aber auch in Erinnerung als eine lebhafte Stadt der Gegensaetze: Christen (kath. und serb. orthodoxe), Muslime (die meisten ohne verschleierte Frauen), Juden leben da, Arme und Reiche, moderne Gebaeude und schoen in einer Reihe solche aus der Zeit der Tuerken, der Oesterreicher-Ungraren (Franz Ferdinand) und des Kommunismus. Strassencafés, Shopping, Paerke. Diese Stadt ist im Aufbruch – in eine hoffentlich friedliche Zukunft!

Fussgängerzone in Sarajevo

Mit dem Nachtbus geht es in der Nacht auf Samstag weiter, via Novi Pazar (Serbien) in den Kosovo, nach Pristina.

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